Montag, 12. August 2019

Backpacking - eine Glaubensfrage?

Backpacking ist mehr als nur das Reisen mit einem Rucksack. Wenn man 100 Backpacker fragt, wird man wahrscheinlich 100 verschiedene Antworten auf die Frage bekommen, was Backpacking eigentlich ausmacht und ab wann man sich als Backpacker bezeichnen "darf". Ja, es scheint fast eine Glaubensfrage zu sein.

Ich habe natürlich auch meine eigene Meinung dazu und dies ist der Versuch, den Themenkomplex "Backpacking" ein Stück weit zu entmystifizieren. Man muss weder Mitte 20, noch ein Hippie oder Aussteiger sein, um das Abenteuer Backpacking zu wagen.

Wie der Name sagt, geht es offenbar um das Reisen mit Rucksack. Reisen mit Koffer kann also de facto kein Backpacking sein. Aber Backpacking ist auch eine Lebenseinstellung, es geht um Entschleunigung, Mobilität, Abenteuerlust, die kleinen Dinge, den Verzicht auf unnötigen Luxus und um Freiheit. Geht das nicht auch mit einem Koffer? Ich habe auf meinen Reisen viele Menschen getroffen, die das wehement mit Nein beantworten würden. Ich sehe das inzwischen etwas differenzierter. Meine ersten beiden großen Fernreisen habe ich im Reisebüro gebucht und mit Koffer bestritten - Backpacking war damals überhaupt noch kein Thema für mich. Rückblickend würde ich heute aber sagen, dass ich unbewusst schon sehr viele grundlegende Backpacking-Aspekte erfüllt habe, einfach durch die Art wie ich intuitiv gereist bin.

Meine erste Reise führte mich 2014 im Alter von 31 Jahren nach Neuseeland. Heute bezeichne ich dies als meine erste "richtige" Reise, denn erstmals war ich als Erwachsene allein außerhalb von Europa. So weit weg war ich zuvor noch nie. Ich packte also einen riesigen Koffer (einen Backpack hatte ich damals noch nicht) und flog nach Auckland, wo ich einen Bekannten meines Bruders traf, der mich auf der Reise begleiten sollte.
Die erste Nacht verbrachten wir im Hostel, am nächsten Tag holten wir unseren Campervan von Travellers Autobarn ab und dann gings auch schon los. Weder Instagram noch der inzwischen sehr populäre Hashtag #vanlife waren damals ein Ding und dennoch haben wir genau das getan.
Wir fuhren also los, orientierten uns vage an der Küstenlinie, hielten immer wieder mal an, wenn wir etwas Spannendes sahen und blieben mal eine und mal zwei Nächte an einem Ort.

Eine festgelegte Etappe gab es im Vorfeld nur ganz grob - wir entschieden jeden Tag spontan wie weit wir fahren und wo wir übernachten würden. Von komfortablen Holiday Parks bis zu verlassenen Campingplätzen ohne Strom, fließend Wasser (Plumsklo lässt grüßen) und anderen Menschen war alles dabei. Nach fast 4 Wochen, unzähligen eiskalten Duschen, durchgefrorenen Nächten (es war Frühlingsanfang in Neuseeland), sehr viel Landschaft, zeitweise sehr wenig Kontakt mit der Zivilisation und jedem nur erdenklichen Wetter hatten wir die Nordinsel einmal umrundet.

Mein Fazit dieser Reise war, dass ich mit sehr wenigen Dingen sehr gut klarkommen kann. Verzicht auf Komfort und Luxus war überhaupt kein Problem für mich. Mein Koffer war wie ein mobiler Kleiderschrank, er lag die ganze Zeit im Van und wurde nie von A nach B bewegt - ein Rucksack hätte das gleiche Schicksal gehabt, also wo lag der Unterschied zum Backpacking? Aus meiner heutigen Sicht gibt es keinen, wenn man den ideologischen Ansatz der Freiheit und Mobilität wählt.

Der Grundstein war nach Neuseeland gelegt und so kam es für mich auch bei meiner zweiten "richtigen" Reise nicht in Frage, die gesamte Zeit an einem Ort oder gar in einem einzigen Resort zu bleiben. Sie führte mich 2017 nach Thailand. Im Übrigen der Anfang einer großen Liebe zu diesem Land, worüber ich zu einem späteren Zeitpunkt noch ausführlicher berichten werde.
Auch diese Reise habe ich aber im Reisebüro gebucht, ich war noch nicht so weit alles selber zu organisieren und wusste auch noch nicht, wie einfach es tatsächlich ist. Die Umstände vor Ort belehrten mich aber schnell eines Besseren.
Mein Ziel war Koh Samui, hier wollte ich 2 Nächte bleiben und dann nach Koh Phangan rüber, von wo aus ich dann auch Koh Tao erkunden wollte. Flüge, Transfer, Fähre und Unterkünfte buchte ich im Vorfeld für die gesamte Reise. Ich reiste allein, knüpfte aber vorher über eine Facebook-Gruppe Kontakte zu einigen anderen Leuten, die zur gleichen Zeit dort waren und mit denen ich mich dort treffen wollte.
Schon als ich auf Koh Samui ankam und mein Transferfahrer mit einem Schild auf dem mein Name stand, vor dem Flughafen auf mich wartete, fühlte sich das alles irgendwie völlig falsch an. Vor, hinter und neben mir verließen lauter fröhliche, sympathisch wirkende Menschen mit großen Rucksäcken den Flughafen; sie machten sich zu Fuß auf den Weg oder winkten sich Taxis heran. Außer mir zogen nur ältere Ehepaare, alleinreisende Männer mittleren Alters (*hust hust*) und Familien ihre Koffer in Richtung Shuttle-Transfer. Irgendwie kam ich mir total komisch vor; spießig und als hätte ich keine Ahnung was ich hier eigentlich tue.
Nachdem mich der Fahrer nach nichtmal 10 Minuten Fahrt an meiner Unterkunft absetzte war mir dann auch klar, dass ich mir diesen vorgeplanten Teil der Anreise hätte sparen können.
Die Unterkunft gefiel mir, auch wenn alles anders war als ich es mir vorgestellt hatte. Es war einfach - wie vieles in Thailand, mein Zimmer war schlicht, die Klimaanlage tropfte, aber ich hatte eine kleine Veranda und Blick auf den Pool, der nicht gereinigt war und in dem lauter Laub schwamm. Egal, ich war in Thailand! Nachdem mein Kopf dann auch richtig angekommen war und ich mit einer Tasse Instant-Kaffee auf der Veranda saß, dämmerte es mir bereits, dass ich mehr will. Mehr Freiheit, mehr Unabhängigkeit, mehr Abenteuer. Und ich wollte nicht die geplanten 2 Nächte auf Koh Samui bleiben, ich wollte direkt rüber nach Koh Phangan.

Also machte ich mich am nächsten Tag vorzeitig auf den Weg, ließ die verbliebene und bezahlte Nacht sausen, sowie den gebuchten Transfer auf die Nachbarinsel und begab mich auf eigene Faust zum
nächsten Fähranleger. Auf Koh Phangan hatte ich das Glück, dass in der Anlage, wo ich meine Unterkunft gebucht hatte, noch eine Bambushütte frei war, in die ich übergangsweise für eine Nacht ziehen konnte. Das ließ sich alles sehr unkompliziert vor Ort klären; das war ich natürlich aus Deutschland überhaupt nicht gewohnt aber ich merkte dadurch schnell, dass die Uhren hier anders ticken. Ab diesem Moment ließ ich mich nur noch treiben, ich machte mir nichts mehr aus meinen Plänen sondern ließ alles auf mich zukommen; auch Koh Tao erkundete ich nicht - da kam mir ein Hund dazwischen (auch darüber werde ich noch ausführlicher berichten) und es war okay so.

Ich traf tolle Menschen, nahm jeden Tag so an wie er kam und hatte zum ersten Mal ein richtiges Gefühl von Freiheit.
Ab dieser Reise wurde das Thema Backpacking für mich ein Ding. Durch die Menschen die ich in ihrem Verhalten und ihrer Art zu reisen beobachtete und kennenlernte, die Gegebenheiten vor Ort und den großen Wunsch nach freien und spontanen Entscheidungen wusste ich, dass ich ab sofort nie wieder so reisen wollen würde wie bisher. Es war das letzte Mal, dass ich einen Koffer für eine weite Reise packte; den gibts seitdem nur noch für kurze Trips.

Mein Fazit ist, dass viele gute Gründe für das Reisen mit Rucksack sprechen - die ich an anderer Stelle noch erläutern werde. Was aber viel wichtiger ist als die Art des Gepäckstücks, ist die Einstellung zu sich selber und zum reisen. Alles was ich bis heute auf meinen Reisen gelernt habe, die Menschen die mir begegnet sind und die Orte die gesehen habe, die Art wie ich das Leben der Einheimischen kennenlernen durfte - all das wäre nicht möglich gewesen, wenn ich mich nicht aus meiner Komfortzone begeben hätte. Den Koffer gegen einen Rucksack zu tauschen ist nur ein kleiner und fast zu vernachlässigender Schritt - es hat für mich vor allem praktische Gründe.
Der viel größere Schritt, aus dem so viel Neues und Spannendes erwächst ist der des Nichtplanens. Hab den Mut neue Wege zu gehen, lass alte Denkmuster und Ansprüche los; lerne zu verzichten und mit dir allein zu sein und du wirst am Ende nicht die große Katastrophe finden sondern nur eines: dich selbst in deiner vielleicht besten Version.